FÖJ und politische Bildung auf dem Land

Dirk Hennig
Fragen an Dirk Hennig, politischer Sprecher des Bundesarbeitskreises FÖJ, pädagogischer Leiter Zentralstelle des Trägerverbundes FÖJ-Ring und Leiter Zentralstelle Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) Rheinland-Pfalz
Junge Menschen, zumal nach Ende der Schulzeit, zieht es oft in die Stadt. Gerade das FÖJ bietet auch viele Einsatzstellen in ländlichen Regionen – mit oft hoher Nachfrage. Macht das FÖJ also Lust aufs Land oder ermutigt es, zu bleiben?
Die meisten FÖJ-Einsatzstellen liegen auf dem Land und das ist ein wesentlicher Unterschied des FÖJ im Vergleich zu anderen Freiwilligendienstformaten. Im allgemeinen Trend unserer Gesellschaft liegt das Leben auf dem Land nicht, doch das FÖJ setzt Gegentrends. Das FÖJ erfreut sich insgesamt – und gerade auch bei Einsatzstellen auf dem Land – einer großen Nachfrage. Wir hatten in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren immer weit mehr als sechsmal so viele konkrete Bewerbungen, als wir Plätze im FÖJ anbieten können. Die meisten FÖJ-Bewerber*innen erhalten also eine Absage. Die Fördermittel von Bund und Ländern begrenzen das Platzangebot im FÖJ, während besonders die großen Organisationen anderer Freiwilligendienste in den zurückliegenden fünf Jahren einen deutlichen Aufwuchs erfahren haben. Ich denke, wer ländliche Räume stärken will, sollte eine stärkere Förderung des FÖJ in Erwägung ziehen. Das FÖJ ist eine der erfolgreichsten Maßnahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und hat in der aktuellen Evaluation aller Freiwilligendienste insbesondere für seine Bildungsarbeit Bestnoten erhalten. Mit seinen Einsatzstellen bildet das FÖJ über ganz Deutschland ein Netzwerk, das bis tief in abgelegene ländliche Regionen hineinreicht. Dort finden sich oft kleine Vereine und Organisationen, die durch das FÖJ gestärkt werden und dabei jungen Menschen die Möglichkeit zu einem ganz besonderen gesellschaftlichen Engagement geben. Gegen den allgemeinen Trend einer Landflucht hat das FÖJ Angebote, die für junge Leute das Land mit seinen familiären Strukturen und seiner oft sehr vielseitigen Natur attraktiv machen. Der Angst von FÖJ-Bewerber*innen aus der Stadt vor Vereinsamung auf dem Land, begegnen wir mit neuen Formen gemeinsamen Wohnens. Im FÖJ entsteht in den kleinen, überschaubaren Strukturen ein Klima menschlicher Nähe, fern der städtischen Anonymität. Viele FÖJ'ler*innen fühlen sich dem Leben in ihrer Einsatzstelle verbunden, kehren immer wieder zurück oder bleiben sogar für immer. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass FÖJ'ler*innen nach ihrem Freiwilligendienst in ihrer Einsatzstelle noch eine Ausbildung machen oder nach ihrem Studium in ihrer alten Einsatzstelle einen Job annehmen. Ja, das FÖJ macht Lust auf Natur und Lust aufs Land!
Dirk Hennig, Vorstandsvorsitzender des Fördervereins Ökologische Freiwilligendienste (FÖF) e.V. und politischer Sprecher der FÖJ-Träger in Deutschland
Politische Bildung spielt im Gesamtkonzept des FÖJ eine große Rolle. Was sind hier wesentliche Lernfelder und Inhalte, die Sie anderen mitgeben können? Und: Gibt es aktuell Themen und Fragen, die die Freiwilligen besonders beschäftigen?
Die politische Bildung ist sogar das (!) zentrale Element unserer Bildungsarbeit im FÖJ und war für mich der entscheidende Grund, warum ich vor 20 Jahren meinen Försterberuf aufgegeben und FÖJ-Pädagoge geworden bin. Das FÖJ ist 1986 entstanden, also in einer Zeit, in der Bilder des Waldsterbens, der Reaktorunfall von Tschernobyl und Drohgebärden des kalten Krieges durch die Medien gingen. Es war damals jedem klar: Ein "weiter so" kann es nicht geben, es muss sich was verändern! Unser Lebensstil steht infrage. Es braucht neue Ideen für die Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft und diese Veränderung darf nicht in die Hände einiger weniger Menschen gelegt werden, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die jede(n) einzelne(n) Bürger*in zum Mitgestalten auffordert.
Das FÖJ wurde gegründet, um junge Menschen für diese Aufgabe als mündiger und aktiver Bürger*in fit zu machen. Einsatzstellen wurden als Lernorte nonformaler und informeller Bildung geschaffen, begleitet von Seminarangeboten zu gesellschaftspolitischen und ökologischen Themen. Pädagog*innen begeben sich gemeinsam mit den Freiwilligen auf die Suche nach Ursachen und Lösungen der gesellschaftlichen Probleme, fördern die Kreativität für neue Lebensentwürfe und üben in festen Seminargruppen demokratische Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse ein. Im FÖJ – im täglichen Umgang mit jungen Menschen – ist mir als Pädagoge eines besonders klar geworden: BNE ist ohne politische Bildung undenkbar. BNE geht vom Menschenbild eines mündigen Bürgers/Bürgerin aus, aber Partizipation und Demokratie müssen erst einmal gelernt werden! Wir reden nicht nur über Demokratie, sondern wir leben Demokratie. Nach außen zeigt sich dies durch unser Sprechersystem, mit dem wir inzwischen auch Vorbild für die anderen Freiwilligendienste geworden sind, die ebenfalls diese Form des Mitgestaltens einführen wollen.
Das Ö im FÖJ steht nicht allein für die Ökologie als ein Teilgebiet der Biologie, sondern von seiner etymologischen Bedeutung her auch für das allumfassende Ganze, in und von dem wir alle leben und wir selber Teil sind.
Das FÖJ bietet Möglichkeiten, die jede*r FÖJ'ler*in individuell nutzt. Unsere Bildungsarbeit greift das Interesse und die Neugier unserer Teilnehmenden auf. Viel zu oft bekommen junge Menschen Antworten auf nie gestellte Fragen. Unsere Pädagog*innen steuern nicht von oben herab, sondern begleiten individuelles Lernen und moderieren Gruppenprozesse.
FÖJ'ler*innen suchen sich in den Seminaren selbst ihre Themen aus und interessieren sich besonders für Zukunftskonzepte, Lebensstile, Konsum, Ernährung, Tierethik usw. Das ist kein Biologieunterricht, sondern eine kontroverse Auseinandersetzung mit aktuellen Themen ihrer alltäglichen Lebenswirklichkeit. Zunehmend mehr wollen sich die Freiwilligen auch mit politischen Themen im engeren Sinne auseinandersetzen, wie zum Beispiel den Bedrohungen unserer Demokratie.
Eine gute Überleitung zum nächsten Fragekomplex: das Thema Umwelt- und Naturschutz wird von rechtsextremer Seite aufgriffen und genutzt. Unter anderem in Schulungen setzen sie sich aktiv damit auseinander. Wie aber gehen sie damit um, wenn sich Menschen mit rechtsextremen Einstellungen bei ihnen bewerben – als Freiwillige oder Einsatzstelle?
Ja, ich war sehr geschockt, als ich von einer Bewerbung eines ökologischen Bauernhofes erfuhr, der gerne als FÖJ-Einsatzstelle anerkannt werden wollte, der Träger aber im routinemäßigen Vorstellungsgespräch eindeutig eine rechtsextremistische Gesinnung verlautbaren ließ. Immerhin hatte das gute Qualitätsmanagement des Trägers eine Anerkennung als Einsatzstelle verhindert. Ich habe damals begonnen, mich mit der Frage auseinanderzusetzen, warum sich Rechtsextremist_innen überhaupt für ökologische Themen interessieren und dabei festgestellt, dass bereits in der „Blut- und Boden“-Ideologie der Nationalsozialist_innen der Natur und ihrem Schutz eine zentrale Bedeutung zukam. Gemeinsam mit der Landeszentrale für Umweltaufklärung in Rheinland-Pfalz und unseren FÖJ-Teilnehmenden haben wir im Rahmen unserer politischen Bildung im FÖJ ein Seminar konzipiert, das sich mit dieser Frage intensiv auseinandersetzt. Das Interesse unserer Freiwilligen war sogar sehr viel größer, als gedacht. Seitdem haben wir das Seminarkonzept mit wissenschaftlicher Unterstützung durch den Historiker PD Dr. Nils Franke weiterentwickelt und bieten einmal im Jahr am Schauplatz des Westwalls diese Fortbildung an. Wir Träger in Deutschland wollen über unseren Förderverein Ökologischer Freiwilligendienste (FÖF e. V.) das Konzept auch in andere Bundesländer übertragen. Die zurzeit 51 FÖJ-Träger in Deutschland haben sich eindeutig gegen alle Formen von Extremismus ausgesprochen. Unsere Demokratie ist bedroht und das FÖJ sieht sich mehr denn je darin bestärkt, seiner Bildungstradition treu zu bleiben und sich als ein Angebot politischer Bildung zu definieren.
Das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ)
Das FÖJ ist ein ökologisches, gesellschaftspolitisches Engagement- und Bildungsjahr mit einer Dauer von zwölf Monaten und steht allen jungen Menschen im Alter von 16 bis 27 Jahren offen. 51 FÖJ-Träger in Deutschland bieten knapp 3.000 FÖJ-Plätze an. Die Einsatzstellen werden über ein Auswahlverfahren mit strengen Qualitätskriterien vom jeweiligen Träger zugelassen. Einsatzstellen sind zum Beispiel Naturschutzverbände, Einrichtungen in der Umweltbildung, Naturparkzentren, Waldkindergärten, zertifiziert ökologische Bauernhöfe sowie Arche- und Schulbauernhöfe, Organisationen der ökologischen Ernährung, Tierpflegestationen, naturnah wirtschaftende Forstbetriebe, Einrichtungen im Bereich Umwelttechnik und erneuerbare Energien, Umweltlabore, wissenschaftliche Einrichtungen in der Zukunftsforschung etc.
Die Pädagog*innen der Träger unterstützen Einsatzstellen und Teilnehmende bei der Vereinbarung von individuellen Lernzielen und fördern Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung sowie die berufliche Orientierung.