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Bürgerwehren - "engagierte Helfer" oder "rechter Schlägertrupp"?

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Aufgepasst: Demokratie in Gefahr

Bürgerwehren - "engagierte Helfer" oder "rechter Schlägertrupp"?

Cover der Publikation "Bürgerwehren - Hilfssheriffs oder inszenierte Provokation" zeigt Menschen, die mit einem Schäferhund auf einer Straße patroullieren
 

Im Jahr 2016 haben sich überall in Deutschland in Reaktion auf tatsächliche oder vermeintliche Straftaten von Geflüchteten zivile Gruppen gebildet, die unter dem Vorwand, für die Sicherheit der Bürger_innen zu sorgen, ihr Recht in die eigene Hand nahmen – oder das, was sie dafür halten. Diese Gruppen treten unter Namen wie "Bürgerwehr Schwanewede", "Freikorps Bürgerwehr Selbstschutz der Patrioten und unserer Familien" oder "Güstrow wehrt sich" in Erscheinung. Im ländlichen Raum, in dem das Gewaltmonopol des Staates durch hohe räumliche Distanz zur Polizei in den Augen von Bürger_innen zu erodieren scheint, nehmen Bürgerwehren eine besondere Rolle ein.

Aktuelle Entwicklungen in Deutschland

Anfang 2016 nahm deutschlandweit das Interesse an der Idee der Bürgerwehr sprunghaft zu. Laut einer YouGov-Umfrage von Januar 2016 konnte sich jede_r vierte Deutsche vorstellen, einer Bürgerwehr beizutreten, um gegebenenfalls auch mit Gewalt die eigenen Interessen zu schützen, wenn der Staat dies nicht tue. Im gleichen Jahr stimmten 35 Prozent der Thüringer_innen der Aussage zu, dass Bürgerwehren notwendig seien, weil der Staat die Sicherheit der Bürgerschaft nicht mehr ausreichend gewährleisten könne. Besonders stark war die Zustimmung bei gewaltaffinen Menschen, die kein Vertrauen in die Polizei und Angst vor Kriminalität im Alltag haben. Für den deutlichen Anstieg der Zustimmung zu Bürgerwehren sorgte die rechtsextreme Mobilisierung gegen Geflüchtete in den vergangenen Jahren. Vor allem die Berichte über die "Kölner Silvesternacht", in der es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen, Körperverletzungen und Eigentumsdelikten gekommen war. Laut Staatsanwaltschaft stammen die meisten Verdächtigen aus Nordafrika. Rechtsextreme hatten die sexualisierte Gewalt in Köln genutzt, um Hass gegen Geflüchtete zu schüren. So dienten die Vorfälle der Silvesternacht als Initialzündung: Im Internet wurde stark mobilisiert, um Bürgerwehren zu gründen oder um Leute von einem Beitritt zu überzeugen. Zahlreiche Online-Gruppierungen mit tausenden Sympathisant_innen entstanden. "Nein zum Heim"-Seiten in sozialen Medien radikalisierten sich und brachten den Hass auf die Straße. Häufig standen hinter diesen Initiativen bekannte Rechtsextreme. Für sie sind die Bürgerwehren, die nicht direkt in den rechtsextremen Kontext eingeordnet werden und eventuell auf Zustimmung der lokalen Bevölkerung treffen, sehr attraktiv um sich als "Macher" zu inszenieren.

Das Spiel mit der Angst

Die Mehrzahl dieser Online-Bürgerwehren trat in der realen Welt jedoch nicht in Erscheinung. Stattdessen konzentrierten sie ihre Aktivitäten darauf, in sozialen Netzwerken rassistische Hetze zu verbreiten. Hier instrumentalisierten sie Gerüchte oder tatsächliche Fälle von Kriminalität, sexualisierter Gewalt und Terror, um ein Klima der Angst und Unsicherheit zu schaffen. Den Sicherheitsbehörden wird vorgeworfen, kollektiv zu versagen oder sich gar gegen das „deutsche Volk“ verschworen zu haben.

Dort, wo Bürgerwehren jedoch real in Erscheinung treten, werden sie oft zum Problem. Entgegen der Vorgabe, für die Sicherheit der Bürger_innen zu sorgen, verfolgen die meisten Bürgerwehren eigennützige, rassistische und rechtsextreme Interessen und versuchen ihre Feinde gesellschaftlich auszugrenzen. Ihr Engagement ist ein direkter Angriff auf das Gewaltmonopol des Staates. In den lokalen Kontexten, in denen sie auftreten, üben sie Selbstjustiz und soziale Kontrolle aus. Bürgerwehren können in unterschiedlichen Formen in Erscheinung treten. Matthias Quent vom Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft unterteilt sie anhand ihrer Motivation, beziehungsweise ihren Zielen, ihrem Verhältnis zu Polizei und Staat, ihrer Entstehung, der Art ihrer Aktivitäten (virtuell oder real), ihrer politischen Agenda, ihrer Anschlussfähigkeit für rechtsextreme Ideologien und ihrer Gewaltaffinität in vier unterschiedliche Gruppen ein. Bürgerwehren sind demnach nicht durchweg als antidemokratisch oder rechtsextrem zu bezeichnen. Die sogenannten „Protestgruppen“ sind aktuell die verbreitetste Form der Bürgerwehr in Deutschland. Außerdem sind nicht alle Bürgerwehren im gleichen Maße gewaltbereit. Zudem richtet sich die Gewalt gegen unterschiedliche Gruppen: Während manche schwache Gruppen und solche, die von großen Teilen der Mehrheitsbevölkerung stigmatisiert werden adressiere, wie z.B. Geflüchtete wenden sich andere gegen politische Gegner_innen, die als Bedrohung für das Überleben oder die Erfolge der Bürgerwehren angesehen werden oder denen vorgeworfen wird, mit den Stigmatisierten zulasten des »Volkes« zu paktieren. Die Gewalt, die von der dritten Gruppe ausgeht, greift hingegen den Staat und seine Repräsentant_innen an, weil sie diesen bereits als vom Feind kontrolliert ansehen. Ein Beispiel, dass dieses Engagement in Selbstjustiz und eigenen Straftaten bis hin zu Terror enden kann zeigt der Fall der "Bürgerwehr Freital", deren Mitglieder aktuell wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung, versuchtem Mord, gefährlicher Körperverletzung sowie dem Herbeiführung von Sprengstoffexplosionen vor Gericht stehen.

Für weitere Informationen:

Amadeu Antonio Stiftung: Bürgerwehren. Hilfssheriffs oder inszenierte Provokation?, Berlin 2016. /w/files/pdfs/buergerwehreninternet.pdf (PDF-Dokument, 780.3 KB)

Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena

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