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Gender und Rechtsextremismus im ländlichen Raum

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Aufgepasst: Demokratie in Gefahr

"Friedfertige Frauen" vs. "soldatische Männer"? Gender und Rechtsextremismus im ländlichen Raum

Frauengruppe auf Demonstration präsentiert Plakat "Ein Volk steht und fällt mit seinen Frauen"

© Otto Belina

 

In der Arbeit gegen Rechtsextremismus ist die Gender-Perspektive lange unbeachtet geblieben. Auch im öffentlichen und medialen Diskurs wird rechte Ideologie nach wie vor häufig als ein "männliches" Phänomen beschrieben. Das längst nicht mehr zeitgemäße soldatisch geprägte Bild vom "Stiefelnazi" prägt immer noch die Vorstellungen von gewaltbereiten rechtsextremen Jungen und Männern. Von diesen Bildern abweichende Erscheinungsformen bleiben oft unbeachtet. Mit dieser Wahrnehmung jedoch geraten Entwicklungen innerhalb der extremen Rechten aus dem Blick, die sowohl Männer als auch Frauen betreffen. Bleiben rechtsextreme Frauen mit ihren Aktivitäten unerkannt – oder auch Männer, die dem Klischee des „rechten Mannes“ nicht entsprechen – ist dies letztendlich eine Gefahr für unser demokratisches Miteinander.

Was bedeutet Gender?

Die Kategorie Geschlecht prägt unseren Alltag ebenso wie andere Aspekte unserer Identität wie der ethnische Background, das Alter oder Bildung. Unsere Gesellschaft ist nach wie vor stark geschlechtsspezifisch sozialisiert. So wachsen Kinder mit bestimmten Vorstellungen auf, wie sich "richtige Jungen" oder "richtige Mädchen" zu verhalten hätten. Ansichten von geschlechtlichen Normen werden so anerzogen und von den Kindern erlernt. Dieses soziale, gesellschaftlich-kulturell erzeugte Bild von Geschlecht wird auch als Gender bezeichnet, um es vom biologischen Geschlecht abzugrenzen. Dabei wird davon ausgegangen, dass es je nach gesellschaftlichem und kulturellem Kontext bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit gibt und diese keine festen, starren Konstanten sind. Anders gesagt: Wir konstruieren in unserem Alltag ständig das, was wir für männlich und weiblich halten und nehmen es so als "natürlich" und vermeintlich eindeutig wahr. Damit reproduzieren wir täglich bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und übersehen geschlechtliche Identitäten, die vom zweigeschlechtlichen System abweichen. Dies passiert oft unbewusst. Um gesellschaftliche Ungleichheiten erkennen und bearbeiten zu können ist es daher wichtig, eine geschlechterreflektierende Perspektive einzunehmen.

Mit einem solchen gendersensiblen Blick lässt sich nämlich feststellen, dass es in vielen Berufszweigen für Frauen immer noch schwieriger ist, eine Anstellung zu finden. Deshalb sind vor allem gut qualifizierte Frauen mobiler und bereit, die ländlichen Regionen zu verlassen, um berufliche Chancen wahrzunehmen. In vielen strukturschwachen Regionen stellen daher Männer die Mehrheit dar, die Geburtenrate sinkt und die Gesellschaft überaltert. Lokale Behörden sollten sich daher überlegen, wie sie dem entgegenwirken können und die Region für alle Menschen attraktiver gestalten können.

Auch strukturelle Benachteiligungen lassen sich mit der Gender-Brille aufdecken: Wann wird beispielsweise die Sporthalle an wen vermietet? Hier wird häufig deutlich, dass sich Benachteiligungen überschneiden: Mädchen und Frauen haben oft zu unattraktiveren Zeiten Zugang zu Sporthallen, migrantische Sportvereine ebenso. Eine solche Überlagerung von verschiedenen strukturellen Diskriminierungsformen wie Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung usw. wird als Intersektionalität bezeichnet.

Rechtsextreme Frauen und die "doppelte Unsichtbarkeit"

Mädchen und Frauen sind in der rechten Szene oft "doppelt unsichtbar". Ihre diversen Positionen innerhalb der Szene und die unterschiedlichen Wege, auf denen sie ihre Ideologie in verschiedene Milieus hineintragen, werden nicht wahrgenommen. Sie sind jedoch auch an rechtsextremen Übergriffen, Gewalttaten und Terrorattacken beteiligt und in die Strukturen rechter Parteien eingebunden. In der NPD gibt es beispielsweise mit dem Ring Nationaler Frauen eine eigene Interessensvertretung der Frauen in der Partei.

Nicht selten verstellt das stereotype Bild von der "Friedfertigkeit der Frau" die Wahrnehmung der rechtsextremen Überzeugung. Ebenso werden ohne einen geschlechterreflektierenden Blick bestimmte Männlichkeiten nicht beachtet bzw. unkritisch übernommen.

Die rechte Szene selbst ist nach innen durch stereotype Geschlechtervorstellungen und die Ungleichwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann geprägt und geordnet. Hier wirken traditionelle Vorstellungen einer Familie, die aus Vater, Mutter und möglichst vielen Kindern besteht, besonders stark. Die Familie wird vor allem in der völkischen Ideologie als "Keimzelle des Volkes" oder "Lebensborn" überhöht. In ihr ruht die Hoffnung auf eine im rechtsextremen Sinne "bessere Zukunft" zu, die eigenen Kinder werden als "Zukunftsprojekt" betrachtet.

Der Frau kommt in der Familie vor allem die ideologisch aufgeladene Rolle als Mutter und Erzieherin der Kinder im rechtsextremen Geist zu. Dementsprechend wird Frauen oftmals der vermeintlich vorpolitische Raum wie die Kindererziehung oder die soziale Arbeit für ihre Agitation zugewiesen, in denen ein Engagement nicht als verdächtig wahrgenommen wird. Daher kommt es oft im Kontext von Bildungseinrichtungen zu Begegnungen und Konfrontationen mit rechtsextremen Frauen.

Frauen im Rechtspopulismus

Im Rechtspopulismus scheinen Frauen hingegen in der Öffentlichkeit präsenter zu sein und häufiger Führungspositionen einzunehmen als in rechtsextremen Organisationen. Doch auch in den rechtspopulistischen Gruppierungen bzw. in der Neuen Rechten stellen Männer insgesamt die deutliche Mehrheit. Die optische Präsenz der Frauen ist jedoch meist mit der Strategie verbunden, sie in die vordersten Reihen zu schicken, um nach außen friedfertiger und weniger radikal zu wirken. Dass dies oft nur Schein ist, zeigen zahlreiche menschenfeindliche und hetzerische Aussagen rechter Frauen.

Erklärte Feinde von rechtspopulistischen Frauen wie Männern sind der Feminismus, Gender Mainstreaming, Gender Studies und Personen, die sich für die Akzeptanz vielfältiger Geschlechts- und Sexualitätsmodelle einsetzen. Sie geraten immer häufiger in den Fokus antifeministischer Attacken von Rechtspopulist_innen. Diese imaginieren in der Emanzipation der Geschlechter und der Verbesserung der Rechte von Homosexuellen, Trans* und Inter* einen existenziellen Angriff auf die traditionelle Familie und damit auf das Fortbestehen des deutschen Volkes. Der deutliche Antifeminismus, die Homo- und Transfeindlichkeit rechtspopulistischer Akteur_innen zeigt deutlich, dass ihre Hetze ein Angriff auf die Freiheit der Gesamtbevölkerung in Deutschland darstellt.

Wie kann Gender in die Projektarbeit integriert werden?

Ohne eine geschlechterreflektierende Perspektive bleiben ganz konkrete Handlungsbedarfe und Interventionsmöglichkeiten in der Praxis, die für die Arbeit gegen Rechtsextremismus wichtig sein können, unbeachtet. Das betrifft die zivilgesellschaftliche Projektarbeit ebenso wie die pädagogische Praxis. Mit einem geschlechterreflektierenden Blick lässt sich zeigen, was rechtsextreme Gruppierungen im Inneren zusammenhält: Im völkischen Familienbild, das innerhalb der Szene propagiert wird, finden Frauen und Männer klare Geschlechterrollen. Sexualität wird auf den Erhalt der "Volksgemeinschaft" ausgerichtet, weshalb alle nicht-heterosexuellen Ausrichtungen abgelehnt werden. Biologistische Geschlechterkonstruktionen müssen als zentraler Bestandteil der rechten Szene wahrgenommen und analysiert werden.

Für die pädagogische Praxis bedeutet dies, dass die Praktiker_innen Kenntnis über die Rollen von Mädchen und Frauen in der rechten Szene benötigen, Geschlechterreflektion als Querschnittschnittsaufgabe und die pädagogische Arbeit gendersensibel ausrichten müssen. So können sie geschlechtsspezifische Diskriminierung erkennen, kritisieren und andere Angebote unterbreiten. Dies kann ermöglichen, unterschiedliche geschlechtliche Entwürfe anzuerkennen und Vielfalt erfahrbar zu machen. Zum Beispiel können Angebote gemacht werden, die traditionellen Vorstellungen von Junge- und Mädchensein widersprechen; Kochkurse generell allen Teilnehmenden anzubieten oder Fußball auch für Mädchen. So können stereotype Zuschreibung schon in der Angebotsplanung verhindert werden. Dadurch wird es möglich, Diskriminierung und Ungleichwertigkeitsdenken entgegenzutreten und sich zu demokratischen Werte und Vielfalt zu positionieren.

Beratungsangebote

Die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung untersucht die Konstruktion von Geschlecht und Funktion von Geschlechterrollen im Rechtsextremismus. Neben zahlreichen Vorträgen, Veranstaltungen und Beratungsangeboten erarbeitet die Fachstelle in ihren Publikationen konkrete Analysen und Konzepte für eine gendersensible Rechtsextremismusprävention.

Für weitere Informationen siehe http://www.gender-und-rechtsextremismus.de

Zudem unterstützt der Verein Lola für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern geschlechterreflektierende Projekte für demokratische Vielfalt und gegen biologistische Zuschreibungen von Männer- und Frauenrollen sowie gegen Homo- und Transfeindlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern.

Für weitere Informationen siehe http://www.lola-fuer-lulu.de 

Materialien

AK "Geschlechterreflektierende Rechtsextremismusprävention": Fachliche Standards in der geschlechterreflektierenden Rechtsextremismusprävention. Positionspapier. /w/files/pdfs/fachstelle/positionspapier-ak-geschlechterreflektierende-rechtsextremismuspraevention.pdf (PDF-Dokument, 177.3 KB)

Amadeu Antonio Stiftung: Das Bild des "übergriffigen Fremden" – Warum ist es ein Mythos? Wenn mit Lügen über sexualisierte Gewalt Hass geschürt wird. /w/files/pdfs/gender_und_rechtsextremismus.pdf (PDF-Dokument, 2.7 MB)

Amadeu Antonio Stiftung: Rechstextreme Frauen – übersehen und unterschätzt. Analysen und Handlungsempfehlungen. /w/files/pdfs/broschuere_rechtefrauen.pdf (PDF-Dokument, 1.7 MB)

Amadeu Antonio Stiftung: Peggy war da! Gender und Social Media als Kitt rechts populistischer Bewegungen. /w/files/pdfs/fachstelle/pegida-internet.pdf (PDF-Dokument, 1.1 MB)

Lola für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern: "Ich hab mich normal gefühlt, ich war ja verliebt, aber für die andern ist man anders". Homo- und Trans*feindlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern. http://www.un-sichtbar-mv.de/expertise_lola_fuer_lulu_trans_und_homophobie_in_mv.pdf (PDF-Dokument)

 

 

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