Völkischer Rechtsextremismus im ländlichen Raum

© Alfred Schierholz (CC BY 2.0 DE)
Ein völkisches Maifest mit germanischem Brauchtum, Rechtsrock vom Nachbarhof, ein Hitlergruß beim Schützenfest: Der ländliche Raum ist einer der zentralen Aktionsorte von Rechtsextremen.
Besonders in Gegenden, in denen sich Parteien und zivilgesellschaftliche Akteur_innen zurückgezogen haben, eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht, die Bevölkerung vergleichsweise homogen ist und durch den Wegzug junger Menschen zusehends überaltert, greift rechte Agitation. Rechtsextreme rechnen in strukturschwachen Regionen mit wenig Gegenwehr beim Versuch, sich mit gezielten Immobilienkäufen niederzulassen und strategisch Räume zu ergreifen, um die Dorfstruktur langfristig in ihrem Sinn zu beeinflussen. Hier versuchen sie, ihren Traum von der deutschen „Volksgemeinschaft“ in die Realität umzusetzen.
Vor allem die völkische Spielart des Rechtsextremismus ist im ländlichen Raum anzutreffen. Deutschlandweit agieren völkische Verlage und Organisationen. Auch Zeltlager völkischer Gruppierungen, bei denen Kinder mit rechtsextremer Propaganda indoktriniert und militärisch gedrillt werden, finden im ganzen Bundesgebiet statt. Während in den westlichen Bundesländern Niedersachsen und Baden-Württemberg viele alteingesessene völkische "Sippen" anzutreffen sind, ist der Osten Deutschlands, und hier vor allem Mecklenburg-Vorpommern, für "neovölkische" Siedlungsbestrebungen besonders attraktiv.
Was ist völkischer Rechtsextremismus?
Völkische Akteur_innen geben sich meist nicht offen als Rechtsextreme zu erkennen. Erst ein Blick auf die Tradition, in die sich die Szene stellt und die Ideologie, die sie vertritt, verdeutlichen die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Die völkische Ideologie konstruiert ein deutsches Volk, welches durch ethnisch-rassistische Kriterien definiert wird. Teil des deutschen Volkes ist dabei längst nicht jede_r, die oder der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder Teil der deutschen Gesellschaft ist.
Stattdessen entscheiden biologistische Annahmen über den Einschluss und Ausschluss zur deutschen "Volksgemeinschaft". Abstrakte Kategorien, wie die Staatsbürgerschaft oder gleiche Rechte werden durch vermeintlich konkrete Kriterien wie die "Abstammung", die Herkunft oder das gleiche "Blut" ersetzt. Nichtweiße und nicht-deutsche Menschen (und deren Nachfahren) werden daher ebenso wenig als Teil des deutschen Volkes gesehen wie Jüd_innen. Außerdem werden Menschen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung nicht zur Reproduktion der "Volksgemeinschaft" beitragen würden genauso ausgeschlossen wie Anhänger_innen politischer Einstellungen, für die nicht die eigene Nation im Vordergrund ihres politischen Handelns steht.
Das oberste Ziel der völkischen Ideologie ist der Erhalt der vorgestellten "Volksgemeinschaft". In der Weltsicht völkischer Akteur_innen besteht die Hauptaufgabe der Frauen daher in der Rolle als sorgende Mutter, die möglichst viele Kinder gebärt und im rechtsextremen Sinne zur kommenden Elite der Szene erzieht. Diese starren Geschlechterrollen beschneiden in besonderem Maße die Entfaltungsmöglichkeiten von Mädchen. Der eher passiv gedachten Position stehen jedoch auch einige Frauen innerhalb der Szene entgegen, die führende Posten bekleiden.
In der Logik der völkischen "Blut und Boden"-Ideologie ist das Volk als starre, organische Entität fest mit seinem "Lebensraum" verbunden. Schon allein deshalb müsse der "Lebensraum" erhalten werden: Umweltschutz sei "Heimatschutz". Darum ist die Verbundenheit des Volkes zur Natur und zum ländlichen Leben, das vermeintlich von den negativen Einflüssen der Globalisierung und Urbanisierung verschont geblieben sei, besonders wichtig. Aus diesen Gründen lassen sich völkische Siedler_innen im ländlichen Raum nieder.
Zum Teil kommen diese "Neusiedler" aus alten völkischen "Sippen", zum Teil setzen sie sich aus Personen aus dem neonazistischen Kameradschafts- oder NPD-Spektrum zusammen. Sie geben sich als naturverbundene "Aussteiger", kaufen alte Höfe und versuchen oft, einen landwirtschaftlichen Betrieb aufzubauen. Oft sind sie hilfsbereite Nachbar_innen, fleißige Handwerker_innen und engagierte Eltern und daher in der Gemeinde beliebt. Ihre politische Einstellung wird dabei selten beachtet oder als harmlos angesehen. Bei völkischer Ideologie darf jedoch nicht weggeschaut werden. Auch wenn die Akteur_innen der Szene nicht besonders gewaltbereit auftreten, vertreten sie eine Ideologie, die auf Menschenfeindlichkeit und dem Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen beruht.
Rechtsextreme Raumergreifung – eine Gefahr für den ländlichen Raum
Der Zuzug von völkischen Akteur_innen geht mit der Strategie der rechtsextremen Raumergreifung einher. Sie hat zum Ziel, Orte zu schaffen, in denen rechtsextremes Gedankengut toleriert wird und ermöglicht, dass weitere "Siedler_innen" zuziehen. Wenn sich Rechtsextreme in ihrer Umgebung akzeptiert fühlen, sehen sie sich ermuntert, sich in örtlichen Vereinen, Initiativen und Bildungseinrichtungen zu engagieren. Diese Strategie hat oftmals die Spaltung der Dorfgemeinschaft in Gegner_innen und Unterstützer_innen der Rechtsextremen zur Folge. Oft werden die Menschen, die sich für demokratische Werte einsetzen, selbst an den Pranger gestellt und als "Unruhestifter" und "Nestbeschmutzer" gebrandmarkt.
Die soziale Nähe im ländlichen Raum kann zudem dazu führen, sich nicht mit dem Problem auseinander setzen zu wollen, um im Alltagsleben im eigenen Nahraum keine Konflikte austragen zu müssen. So bleibt rechtsextremes Verhalten oft unkommentiert, da die Skrupel, eine Konfrontation einzugehen und den sozialen Frieden des Dorfes zu stören, zu groß sind. Zudem schrecken Repräsentant_innen der Gemeinden oder örtlichen Kirchen häufig davor zurück, rechtsextreme Umtriebe offen zu thematisieren, um nicht den "guten Ruf" der Gemeinde aufs Spiel zu setzen und als "Nazidorf" verschrien zu werden.
Was kann gegen völkischen Rechtsextremismus getan werden?
Die Gefahren, die von völkischen Akteur_innen ausgehen, geraten so aus dem Blickfeld. Daher ist es wichtig, dass sich die Zivilgesellschaft rechtzeitig über völkische Ideologie informiert und für rechtsextreme Strategien sensibilisiert. So kann es gelingen, sich frühzeitig zu positionieren und das rechtsextreme Gedankengut mit den Werten einer demokratischen Gesellschaft zu konfrontieren. Dafür sollten sich Einzelne Unterstützung und Beratung suchen und gegebenenfalls Bündnisse mit anderen Akteur_innen schließen. Unternehmen, Verbände und Vereine können sich beispielweise proaktiv positionieren und Klauseln in ihre Satzungen aufnehmen, um eine juristische Handhabe gegen den Einfluss von Rechtsextremen zu haben. Kommunen, Gemeinderäte und Verwaltungen sollten sich des Problems rechtsextremer Raumergreifung bewusst sein und im Falle strafrechtlich relevanter Aktivitäten wie Volksverhetzung, Beleidigungen oder körperlichen Übergriffen bestimmt handeln. Strukturschwache Gebiete müssen präventiv unterstützt und gefördert werden. Vor Ort aktive zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für Vielfalt und demokratische Werte und gegen Menschenfeindlichkeit einsetzen, müssen unterstützt werden, um rechtsextremer Agitation eine offene, vielfältige Gesellschaft entgegenzusetzen.
Für weitere Informationen:
Amadeu Antonio Stiftung: Völkische Siedler/innen im ländlichen Raum. Basiswissen und Handlungsstrategien. /w/files/pdfs/voelkische_siedler_web.pdf (PDF-Dokument, 2.6 MB)
Amadeu Antonio Stiftung: „Die letzten von gestern, die ersten von morgen“? Völkischer Rechtsextremismus in Niedersachsen. /w/files/publikationen/voclkischer-rechtsextremismus-in-niedersachsen.pdf (PDF-Dokument, 730.7 KB)