Vernetzt denken

© Katharina Müller-Güldemeister
Eine Bürgerinitiative möchte einen vergessenen Naturlehrpfad aufleben lassen und das Saaletal als Wanderregion etablieren. Gefördert wird das Projekt von dem PARTHNER-Projekt des Heimatbundes Thüringen, der regionalen LEADER-Aktionsgruppe Saalfeld-Rudolstadt und der Partnerschaft für Demokratie des Landkreises. Ist das nicht ein bisschen viel?
Von Katharina Müller-Güldemeister
Es ist das fünfte Stelldichein, mit dem der „Entdeckerpfad Saalleiten“ der Öffentlichkeit präsentiert wird. Dazu haben viele ehrenamtliche Hände den Spielplatz von Oberkrossen in eine Festwiese verwandelt. Es gibt Thüringer Würstchen und eine Blaskapelle, Vereine haben Stände aufgebaut und es gibt das neue Buch über Töpfersdorf zu kaufen – eine Wüstung am Wegesrand mit einer gotischen Kirche, die mit jedem Windstoß mehr zur Ruine wird. Freudestrahlend verkündet Annett Hergeth vom Verein Saalleiten, was die Besucher*innen auf dem sieben Kilometer langen Rundweg erwartet: An der Kirche ein Musiker mit Alphorn, später eine Märchenerzählerin und die Einweihung der Schutzhütte „Spechtschmiede“, die von Kindern und Jugendlichen mitgebaut wurde.
Annett Hergeth ist 43 Jahre alt und vom Wesen her niemand, der sich in den Vordergrund spielt. Trotzdem kennt man sie in der 6.000-Einwohner*innen-Gemeinde Uhlstädt-Kirchhasel, zu der Oberkrossen gehört. Denn Hergeth ist einer dieser Menschen, ohne die das Leben im ländlichen Raum ärmer wäre. Es sind nicht nur die Projekte, die sie anstößt, es ist auch die Zuversicht, die sie ausstrahlt – Zuversicht, etwas bewegen zu können, wenn man sich engagiert. Los ging es mit einer kleinen Idee, die lange unter ihrem Kopfkissen lag. Sie bedauerte es, dass der Naturlehrpfad Saalleiten mehr und mehr verkam. Zur DDR-Zeit war er häufig für Schul- und Brigadeausflüge genutzt worden, nach der Wende verwilderten die Wege und wer sich nicht auskannte, verlief sich leicht, weil Schilder fehlten. „Viele wollten die Bundesrepublik kennenlernen und die alte Heimat geriet in Vergessenheit“, erklärt Hergeth. Kein Zustand, fand die Geografin, die etwa mit der Konzeption von Wanderwegen ihr Geld verdient sowie als Naturpädagogin und im Veranstaltungsmanagement von Gartenschauen.
Eine Bürgerinitiative entsteht
Mit dem Wunsch, den Wanderweg im Saaletal wieder aufleben zu lassen, stand sie nicht allein da; 2013 schloss sich eine Handvoll Leute zu einer Bürgerinitiative zusammen. Hergeth war damals mit ihrem zweiten Kind schwanger. „Ich hatte also Zeit, mich zu engagieren“, sagt sie als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Eine Ahnung, wie man so etwas angeht, hatte sie nicht. Aber sie wusste von dem Projekt PARTHNER des Heimatbundes Thüringen, das Ehrenamtliche für ihr bürgerschaftliches Engagement fit macht. Alle ein bis zwei Monate bildete sich Hergeth in Themen wie Vereinsrecht, weltoffene Heimatpflege oder Konfliktbewältigung fort.
Zusammen mit der Bürgerinitiative wollte Hergeth erreichen, dass die Saaleauen und die dazugehörigen Höhenzüge im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt als Wanderregion bekannter werden. Und, dass Heimat wieder wertgeschätzt wird. Das Geld für die Investitionen sollte 2014 vom EU-Förderprogramm LEADER kommen, das seit 1991 Projekte im ländlichen Raum unterstützt. Sie bereitete den Antrag so vor, dass der Bürgermeister ihn nur noch unterschreiben brauchte. Ungünstigerweise endete 2014 eine fünfjährige Förderperiode von LEADER und es war nicht mehr viel Geld im Topf. Die Frage war: Ziele herunterschrauben oder ein Jahr warten, bis die neue Förderperiode startet? „Die Leute waren warm gelaufen und ihr Engagement hätte wegbrechen können, wenn ein Jahr lang nix passiert“, erzählt Hergeth. Sie entschieden sich trotzdem dafür, zu warten.
Erste Ergebnisse werden sichtbar
Dank einer Spende der Kreissparkasse konnten im folgenden Jahr immerhin ein paar Tische und Bänke angeschafft und der Naturlehrpfad als solcher wieder ausgeschildert werden. Im darauffolgenden Jahr förderte LEADER das Projekt dann mit 36.000 Euro. Das Geld floss in Infotafeln, eine Webseite, eine Broschüre und in Planung und Bau der Schutzhütte.
Hierfür wurde ein besonderer Ansatz verfolgt. „Wir wollten Zielgruppen einbinden, die sonst nur Zuschauer*innen und Nutzer*innen gewesen wären“, erzählt Hergeth. In der Grundschule in Uhlstädt durften die Kinder über ein Maskottchen für den Entdeckerpfad abstimmen und Namensvorschläge einreichen. Die Wahl fiel schließlich auf den heimischen Schwarzspecht und den Namen Waldemar.
Um Jugendliche am Bau der Spechtschmiede zu beteiligen, holte Hergeth außerdem die Partnerschaft für Demokratie Saalfeld-Rudolstadt (PfD) ins Boot, die, gefördert durch das Bundesprogramm "Demokratie leben!" auch über eine Koordinierungsstelle vor Ort verfügt. Im Gegensatz zu LEADER fördert PfD keine größeren Sachleistungen, sondern Prozesse. Die Mitmach-Baustelle passte gut zu den Handlungsprinzipien, die auf Selbstgestalten setzen.
„Wir sind gut in der Region vernetzt, helfen bei der Öffentlichkeitsarbeit und finanzieren Posten wie Honorare oder Fahrtkosten“, beschreibt Sebastian Heuchel von PfD ihren Teil der Förderung. Für den Bau der Spechtschmiede konnten Workshops angeboten werden, in denen Jugendliche lernen, Holzschindeln herzustellen und Dächer zu begrünen. „Über 2.000 Holzschindeln haben Jungen und Mädchen in ihrer Freizeit geschnitzt und sie trotz Regen an die Planken der Hütte genagelt!“, erzählt Hergeth entzückt. „Die Wertschätzung ist eine ganz andere, als wenn sie eine Hütte hingesetzt bekommen hätten.“
Herausforderungen werden gemeistert
Sie ist überzeugt, dass es eine gute Idee war, die Baustelle an der Spechtschmiede für alle zu öffnen. „So haben sich viele Mitmacher*innen gefunden, die dem Vereinsleben eher fernbleiben“, sagt sie. Manche Mitstreiter*innen haben sich deswegen allerdings abgewandt. „Sie wollten das Projekt im kleinen Kreis umsetzen, zusammen mit Kindern und Jugendlichen war es nicht mehr ihrs.“
Es blieb nicht die einzige Herausforderung beim Bau der Schutzhütte, die trotz Förderung zu großen Teilen auf freiwilliger Arbeit und gespendeten Materialien beruhte. „Als kurzfristig die Bauleitung absprang, blieb uns nichts anderes übrig, als die Baustelle mit Frauenpower selbst zu schmeißen“, sagt Hergeth. Im Ehrenamt gebe es eben immer eine Ungewissheit, wie mit Verantwortung umgegangen wird. Hier helfen Hergeth die Seminare und Beratungstreffen des Heimatbundes Thüringen. „Man muss den Leuten klarmachen, dass man auf sie zählt, auch wenn es keinen Vertrag gibt.“
Vernetzt denken
PARTHNER, LEADER und Partnerschaft für Demokratie – drei Kooperationspartner für ein Projekt. Ist das nicht ein bisschen viel? „Ich habe das Projekt nie mit drei Partner*innen gedacht, aber sie ergänzen sich gut“, sagt Hergeth. PARTHNER hilft bei der Projektentwicklung, LEADER bei den Investitionen und PfD mit der Einbindung der Zivilgesellschaft. „Wenn man vernetzt denkt, kann man sehr viel mehr erreichen“, sagt sie. LEADER und PfD profitieren davon, dass sich Annett Hergeth in den PARTHNER-Seminaren professionalisiert hat (gefördert wird dieses Projekt aus Mitteln des Bundesprogramms "Zusammenhalt durch Teilhabe"). Sebastian Heuchel kennt es anders zur Genüge: „Viele Vereinsvorstände wissen gar nicht, wie man Anträge schreibt.“ Nur einmal kam es zu Überschneidungen bei der Zuständigkeit zwischen LEADER und PfD, die nur klar voneinander getrennte Einzelmaßnahmen fördern. „Aber wir haben gelernt, es gut aufzuteilen.“
Fünf Jahre ist es her, dass aus einer Idee, die unters Kopfkissen passt, ein Projekt wurde. Vom Resultat sind viele Besucher*innen begeistert. Manche hätten am liebsten gleich in der Spechtschmiede übernachtet, so gemütlich und ungewöhnlich ist die Schutzhütte. Zu Ende ist das Projekt Saalleiten damit noch lange nicht. Als nächstes will der Verein die Kirchenruine vor dem weiteren Verfall schützen. „Töpfersdorf ist ein Grund für viele, dort wandern zu gehen“, sagt Hergeth. Damit bald etwas passiert, hatte Hergeth den Antrag für die Denkmalförderung wieder unterschriftsreif für den Bürgermeister vorbereitet. Mit Erfolg: 50.000 Euro sicherte das Land für dieses Jahr zu.
Es sind nicht nur die Fortschritte beim Wanderweg, die Hergeth freuen. „Neulich kam eine Frau auf mich zu und erzählte mir von einer alten Gaststätte, die man doch bei der 950-Jahr-Feier zum Leben erwecken könnte“, sagt sie. Ihr Engagement scheint andere anzustecken. Genug Förderprogramme wären da.
Der Entdeckerpfad auf Facebook: Waldemar
Mehr über LEADER-Förderung
Rund eine Milliarde Euro stehen in der aktuellen Förderperiode aus dem „Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums“ (ELER) für die Förderung der LEADER-Regionen in Deutschland zur Verfügung. Zusätzlich werden die Regionen mit Landes- und Bundesmitteln ausgestattet, wobei die Förderung von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ist.
Zahlreiche Initiativen, Vereine und engagierte Bürgerinnen und Bürgern in ganz Deutschland setzen sich tagtäglich für ein vielfältiges, gewaltfreies und demokratisches Miteinander ein. Bei dieser wichtigen Arbeit unterstützt sie das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Programm setzt auf verschiedenen Ebenen an.
Eine davon wendet sich gezielt an Städte, Gemeinden und Landkreise, die von „Demokratie leben!“ dabei unterstützt werden, Strategien zur Förderung von Demokratie und Vielfalt vor Ort zu entwickeln und umzusetzen. In den hierfür gebildeten lokalen „Partnerschaften für Demokratie“ kommen Verantwortliche aus kommunaler Politik und Verwaltung sowie Aktive aus der Zivilgesellschaft zusammen. Gemeinsam entwickeln sie konkrete Handlungskonzepte.