Das Traumschüff und seine Crowd

© Dominik Brauch
Mit dem „Traumschüff“ haben ein paar junge Leute ihre Idee von einem schwimmenden Theater umgesetzt und damit Menschen zwischen Berlin und Havelberg gezeigt, dass Träume wahr werden können. Crowdfunding war für die Crew eine passende Möglichkeit, ihr Projekt (mit)zufinanzieren. Seither wächst ihre „Crowd", im echten Leben wie im Internet.
Von Anke Lübbert
Der Fluss riecht schon nach Herbst. Für die Crew des Traumschüffs, einer schwimmenden Bühne, endet hier in Havelberg, 130 Kilometer westlich von Berlin, eine lange Saison. Der zweite Sommer, in dem sie von Hafen zu Hafen gezogen sind. Für ihre Theaterstücke war ihnen kein Dorf zu klein – Hauptsache, es gab eine Pier zum Anlegen.
Das Traumschüff ist ein neun Tonnen schweres Katamaran-Floß, 12 Meter lang, 4,5 Meter breit. Es ist gleichzeitig Bühne, Technikraum, Kapitänsstand und Wohn- und Schlafzimmer für die Crew. 30 Mitglieder hat die Genossenschaft, der das Boot gehört. Dieses Jahr hat die Crew 70 Aufführungen an 17 Orten auf die Beine gestellt. Mit ihrem Traumschüff wollen sie Kultur dahin bringen, wo es sonst nicht mehr viel gibt, Theater spielen, wo kein anderer hinkommt.
Jetzt also die Abschlussveranstaltung in Havelberg, dem „Heimathafen“. Vor der Vorstellung erzählt David Schellenberg, Schauspieler und Initiator des Schüffs, wie alles angefangen hat. Wie ihm während eines Engagements am Mainzer Staatstheater zwei Fragen nicht aus dem Kopf gingen: Was spielen wir hier eigentlich? Und für wen? „Mir war der ganze Theaterbetrieb zu abgehoben, hatte zu wenig mit dem Leben der Menschen zu tun, die wir eigentlich ansprechen wollten – und in der Konsequenz kamen immer die gleichen, ein kleiner Teil des Mainzer Bildungsbürgertums“, sagt er. Schnell habe er daher überlegt, etwas Eigenes aufzubauen, zusammen mit Freund*innen, Kolleg*innen und Sympathisant*innen.
Die Crew des Traumschüffs – Schauspieler*innen, Künstler*innen, Marketing-Leute, Student*innen – ist zwischen 25 und 35 Jahre alt. Viele waren von Anfang an Teil vom Aufbau, von Boot und Idee. Und Teil der Finanzierung. Rund 50.000 Euro hat der Bau des Schüffs gekostet, 16.000 Euro kamen innerhalb von einem Monat über Crowdfunding zusammen.
„Klar war das Crowdfunding finanziell wichtig“, sagt Myriam Oosterkamp, die damals die Kampagne geplant hat und heute am Mischpult sitzt. „Sie hat uns aber auch geholfen eine Bekanntheit zu erreichen, die wir vorher nicht hatten. Seitdem haben wir eine solide Basis an ‚Followern‘. Die sind nicht nur digital ‚irgendwie da‘. Die kommen auch zu unseren Aufführungen, fahren mal ein Stück mit und rufen an, weil sie wissen wollen, wie es so läuft.“
Was braucht man fürs Crowdfunding?
Was braucht man fürs Crowdfunding? Eine gute Idee, ein erreichbares, aber bloß nicht zu niedrig gegriffenes finanzielles Ziel. Einen kurzen Film, der die Kernidee rüberbringt. Eigentlich geht es bei dem Clip immer darum, den Unterstützer*innen einen Deal vorzuschlagen: „Das ist unser Traum. Unterstütze uns und dann bist du ein Teil davon.“ In ihrem eigenen Film ist die Traumschiff-Crew mit Matrosenmützen und Akkordeon zu sehen. Maritimes Flair, ironisch gebrochen.
Egal wen man von der Crew fragt, an das Crowdfunding erinnern sich alle mit einer Mischung aus Euphorie und Schrecken. Die Kampagne fiel in die heißeste Phase, in der die Crew parallel ein Bühnenprogramm auf die Beine stellte und begann das Schiff zu bauen. „Es war einfach unglaublich anstrengend“, sagt Myriam Oosterkamp. „Die Kampagne lief ziemlich gut. Aber im Nachhinein denke ich, wir hätten noch mehr Energie in den Auftakt stecken sollen. Klar, jede*r hat seine privaten Verteiler und Kanäle bestückt, das war schon gut. Aber in der Theorie sollte man am Anfang einen so großen Boom in den sozialen Medien erzeugen, dass man gar nicht an dem Projekt vorbeikommt.“
Die Traumschüff-Leute haben viel getan, um ihre Kampagne aus dem Internet ins echte Leben zu holen. Sie haben Straßenaktionen und Partys geschmissen, selbstgebrannten mexikanischen Schnaps verkauft und sind mit dem Akkordeon durch die Straßen gezogen. Die Belohnung kam schnell: „Wir haben uns total davon getragen gefühlt, dass uns so viele Leute unterstützt haben. Man sitzt dann echt am Rechner und sieht die Spenden eintrudeln: ‚Guck mal, der!‘ und ‚Die auch!‘“
Als Plattform hatte sich die Traumschüff-Crew „Startnext“ ausgesucht, die größte deutsche Plattform für Onlinespendenkampagnen. Wer mitmachen will, muss sich für seine Spender*innen kleine Geschenke ausdenken, die im Fall des Traumschüffs natürlich zum Thema passen sollten. Für 35 gespendete Euro gab es eine Flaschenpost von unterwegs, für 200 Euro ein Candle-Light-Dinner auf dem Floß.
Ein Dreamteam
Dass das Crowdfunding und das Traumschüff so gut zusammenpassten liegt wohl auch daran, dass sich die Crew ihrem Publikum offline ganz ähnlich nähert wie online. Nach den Aufführungen entscheidet zum Beispiel jede*r selber was er oder sie geben will, einen Eintritt gibt es nicht. „Wir wollen allen ermöglichen dabei zu sein“, sagt David Schellenberg, „und hoffen darauf, dass wir trotzdem genug Geld zusammenbekommen.“ Auch wenn alle in der Crew neben der Theaterarbeit noch Zweit- und Drittjobs wuppen müssen und bisher kein einziges Finanzierungsziel auf Anhieb geklappt hat: Das Schiff fährt.
Und warum die Crew durchprobte Abende, das viele Pendeln nach Berlin und die Enge auf dem Schiff für fast kein Geld auf sich nimmt, versteht man, wenn man oben auf dem schwankenden Dach des Traumschüffs steht und auf Schilf, Ruderboote und die träge fließende Havel runtersieht. Schließlich ist das Schüff ein großer gemeinsamer Traum. Und in jedem Hafen, in den es einläuft ein Beweis dafür, dass Träume nicht für immer Träume bleiben müssen. Kein Wunder, dass es Orte gibt, wo die Crew jeden Tag woanders zum Abendessen eingeladen wird und das ganze Dorf sich um sie kümmert, wie um langersehnte Gäste.
David Schellenberg und seine Crew nutzen jede Gelegenheit, die Geschichten und Träume der anderen zu hören. Denn auf der Bühne des Schüffs wird absichtlich weder Faust noch Shakespeare gespielt. Sondern Stücke, die unterwegs beim Zuhören entstehen und etwas mit den Menschen entlang der Havel zu tun haben. „Treue Hände“ heißt das Hörtheater, das heute, am letzten Abend gespielt wird. Es handelt von der Treuhand und einem kurz nach der Wende geschlossenen Kaltwalzwerk in Oranienburg.
Als der Applaus verklingt, ist es dunkel geworden über der Havel. Auf der anderen Flussseite gehen die Lichter an und lassen die Backsteine des Havelberger Dom schwach über den Fluss leuchten. Ein Mann um die 40 stellt sich zu David Schellenberg. „Danke. Ihr habt meine Geschichte erzählt.“ Er kommt aus Oranienburg, seine Eltern haben im Kaltwalzwerk gearbeitet. Dass jemand ihre Geschichte einmal auf die Bühne bringen würde, hätte er nicht gedacht.
Crowdfunding

- Findet die richtige Plattform, z.B. www.startnext.com oder www.betterplace.org
- Wenn euer Gesamtprojekt fürs Crowdfunding zu groß ist, sucht innerhalb dessen nach einem abgeschlossen Projekt, für das ihr nach Spenden fragt (aber grenzt dieses klar von weiteren, möglicherweise öffentlich geförderten Programmteilen ab – sonst könnten euch die Spenden angerechnet werden).
- Entscheidet euch für ein realistisches Fundingziel, das weder zu hoch gegriffen, noch zu schnell erreicht sein sollte.
- Ihr braucht einen motivierenden Kurzfilm, in dem klar wird, warum man ausgerechnet für euch spenden sollte und der euch als Gruppe so authentisch und sympathisch wie möglich zeigt.
- Versucht eure Crowd direkt anzusprechen und sie ein Teil eurer Idee werden zu lassen.
- Macht die Kampagne zur Gruppensache und schiebt sie nicht in eine Kleingruppe ab. Alle sollten dabei sein!
- Steckt die meiste Energie in die Vorbereitung und den Start. Wenn die Kampagne läuft, bleibt am Ball und versucht kurz vor Schluss nochmal, alle für eine zweite Spendenrunde zu mobilisieren. Erfahrungsgemäß kommt das Geld in zwei Schüben: Am Anfang und am Ende der Kampagne. Und je mehr am Anfang kommt, desto entspannter könnt ihr den Rest angehen lassen.
- Sucht euch Aktionen aus, die helfen, die Kampagne aus dem Internet ins echte Leben zu holen. Partys, Straßenaktionen, Konzerte, Flash-Mobs…
- Überlegt euch lustige und persönliche Geschenke für eure Spender*innen, behaltet aber dabei im Kopf, dass ihr die Ideen auch alle umsetzen müsst.
- Lasst eure neu gefundene Crowd nicht hängen. Wenn alles vorbei ist, ist es Zeit die Geschenke zu verschicken, ein Danke-Video hochzuladen und Dankemails zu schreiben.
- So eine Crowd, die schon weiß, was ihr vorhabt und die mit euch mitgefiebert hat, ist Gold wert. Lasst ab und zu von euch hören, bindet die Leute, wenn sie wollen, langfristig ein.
© startnext
Crowdfunding ist eine internetbasierte und niedrigschwellige Methode, um Gelder für Projekte zu akquirieren. Es stellt eine Alternative zu öffentlichen Zuschüssen dar und gilt eher als Variante für die Finanzierung von Nischen-Projekten. Neben nationalen Plattformen gibt es auch regionale Crowdfunding-Initiativen. Diese fokussieren sich vor allem auf Projekte für Start-ups aus der jeweiligen Region.